Fountain by R. Mutt:  (© Photograph by Alfred Stieglitz, THE EXHIBIT REFUSED BY THE INDEPENDENTS

Werbung ist keine Kunst

Die Idee war eigentlich ganz simpel: Wenn Schrei-Performances, Tierkadaver und alltägliche Gegenstände wie Pissoirs Kunst sein können, wieso dann nicht auch Werbung? Michael Schirner hat in seinem 1988 erschienen Aufreger "Werbung ist Kunst" auch gleich mal versucht, Tatsachen zu schaffen. Und hat damit natürlich in erster Linie Werbung für seine Idee gemacht.

Der Mann hat natürlich einen Punkt. Das liegt aber nicht daran, dass die Werbung des ausgehenden 20 Jahrhunderts sich permanent zu Höhepunkten der abendländischen Kultur aufschwang, sondern daran, dass die Ästhetik (und damit die Ethik) einer Gesellschaft am stärksten durch jene visuellen Reize geprägt wird, deren sie am öftesten ausgesetzt ist. Vergleiche mit Lascaux, der nordfranzösischen Gotik oder dem Holland von Rembrandt und Vermeer drängen sich auf.

Eine Generation von Menschen jedoch, die 24 Stunden am Tag auf allen erdenklichen Kanälen mit Reklame bespielt wird, kann man es letzten Endes wohl nicht verdenken, wenn sie einige dieser Machwerke ernsthaft für Kunst halten. Und nein - ob eine Werbung gut gemacht ist, oder nicht, entscheidet nur darüber ob es eine gute Werbung ist und nicht darüber, ob es vielleicht Kunst ist.

Das heißt aber noch nicht, dass Werbung nicht zur Kunst werden, quasi transzendieren, kann. Die mit Abstand beste Kampagne der letzten 2000 Jahre (die mit dem Kreuz als Logo und dem "Leben nach dem Tod" als Claim) zum Beispiel, hat diesen Übergang immer wieder vollzogen und wir verdanken ihr viele einzigartige Kunstwerke. Nur nehmen wir die gotischen Dome, die Kantaten von Bach und das "Letzte Abendmahl" längst nicht mehr als Auftragswerke einer Weltidee war, sondern als singulären Ausdruck einzelner Genies: In dem Augenblick, in dem aus Werbung Kunst wird, ist es keine Werbung mehr.

Die Gefahr, dass die Weltkonzerne des 21. Jahrhunderts ähnlich bleibende Leistungen auf dem Gebiet der "schönen Künste" fördern und fordern, halte ich im übrigen für überschaubar.

Werbung ist keine Kunst.

Dass das so ist, ist nicht weiter schlimm, schließlich befindet sie sich dabei in guter Gesellschaft mit fast allen anderen Tätigkeiten und Hervorbringungen unserer Zeit. Wieso auch sollte die ungeheure Trivialisierung aller Lebensbereiche ausgerechnet vor der Kunst halt machen. Umgekehrt ist erfahrungsgemäß nicht die hochwertigste, ästhetisch ausgefeilteste Werbung die beste, sondern jene, die ein bestimmtes Produkt am besten verkauft. Der Persil-Mann der 80er Jahre lässt grüßen.

Kunst ist Werbung.

Vielleicht liegt das Mißverständnis darin begründet, dass die Grenze zwischen Kunst und geschicktem Eigenmarketing sehr diffus ist. Und das betrifft beileibe nicht nur die Kunst der Gegenwart, sondern war auch schon in der guten alten Zeit ein weit verbreitetes Phänomen. Seit aber das humorlose Marketing-Genie Joseph Beuys die Forderung "Jeder Mensch ist ein Künstler!" erhob, kennt die Welt kein Halten mehr. Alle wollen sie jetzt Künstler sein, vom Architekten bis eben zu den "Bordellpianisten" in der Werbebranche.

Daher liegt der Verdacht nahe, dass Kunst letztlich viel mehr mit Werbung zu tun hat, als ihr gut tut und umgekehrt Werbung viel weniger mit Kunst zu tun hat, als wir uns alle immer wieder einreden.

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